Kriegsverbrechen und Friedenspolitik 

Was bedeutet Pazifismus nach der „Zeitenwende“?

Es ist Krieg in Europa. Der Angriff Russlands auf die militärisch und wirtschaftlich viel schwächere Ukraine ist ein so brutaler Zivilisationsbruch, dass die politischen Führungen der internationalen Staatengemeinschaft viele Wochen eher damit beschäftigt waren, den Eindruck zu vermitteln, sie wüssten, was jetzt zu tun wäre. Aber außer Worte passierte im Wesentlichen erstmal kaum irgendetwas. Man ließ die Ukraine allein, überwies weiterhin täglich hunderte Millionen Euro nach Moskau und ließ Putins Armee gewähren.

Und genau diese Passivität wiederum goutierten viele Menschen, erachteten sie als Bedachtsamkeit. Denn Russland ist hochgerüstet und militärische Maßnahmen gegen Russland könnten zu einer Ausweitung des Kriegs auf andere Länder führen. Mittlerweile gibt es aber mehr Sanktionen gegen Russland als gegen jedes andere Land der Welt und die Ukraine erhält militärische Unterstützung.

Zwar führt all dies nicht zu einem Ende des Kriegs, aber auch nicht zur übergreifenden Eskalation und erst recht nicht zum Sieg einer Kriegspartei. Ist die richtige Balance gefunden oder führt genau dieses Lavieren zwischen den Extremen zu einem quälend langen, teuren Kriegstreiben ohne Ende? Und welche Chancen hat der Pazifismus, wenn es ihn überhaupt in diesen Zeiten geben kann?

Die Liste der Kriege, die in den letzten drei Jahrzehnten geführt wurden, ist lang. Golfkriege und Balkankriege führten zu Antikriegsprotesten, die russischen Kriege im Kaukasus hingegen sind vielen nicht einmal bekannt. Doch der Angriffskrieg auf die Ukraine als souveränem Staat stellt aufgrund der Tragweite nochmal eine neue Dimension dar.

Über 11.000 einzelne Kriegsverbrechen in allen Landesteilen wurden dokumentiert, viele tausend Menschen sterben, die Angst vor einer Ausweitung auf Europa ist groß.

Beide Länder werden, selbst wenn der Krieg bald aufhören würde, noch sehr lange Zeit unter den Folgen leiden. Die Ukraine aufgrund der massiven Verwüstungen, Zerstörungen, Plünderungen, Traumata und Verluste der Bevölkerung. Russland aufgrund der durch den Krieg erzeugten internationalen Ächtung.

Und die gesamte Welt, insbesondere die Menschen in den ärmeren Ländern, wird vorübergehend aufgrund der steigenden Preise und Lieferengpässe die Kriegsauswirkungen zu spüren bekommen. Hier gilt es, praktische Solidarität zu leisten, Ressourcen zu sparen, Energie-, Verkehrs- und Agrarwende mit aller Kraft voranzutreiben.

Niemand braucht riesige Felder für Tierfutteranbau, Tierqualindustrie, Regenwaldrodung, Artensterben – nicht in Friedenszeiten und erst recht nicht in Kriegszeiten!

Das Ziel, den Zusammenhalt der „westlichen“ Länder zu schwächen, hat Putin bislang weit verfehlt. Die NATO erhält Beitrittsanfragen – und prompt droht Russland auch diesen nach Schutz suchenden Ländern. Sie wurden zu Feinden Russlands erklärt. Georgien ist wieder im Fokus der russischen Aggression.

Welchen Ausweg Putin haben könnte, um ohne innenpolitische Schwierigkeiten den Krieg zu beenden, ist derzeit völlig unklar. Das sinnlose Morden und Zerstören geht nicht nur einfach weiter, sondern es wird zum Selbstzweck, um den Krieg als Kriegsgrund zu gebrauchen, um den Frieden nicht machen zu müssen, da ein Friedensschluss nur noch als Niederlage empfunden werden kann.

Für die Umwelt und die Tiere ist der Krieg ebenfalls verheerend und ein absolutes Grauen. Über diese Ausmaße macht sich momentan kaum jemand Gedanken, aber auch dies wird aufzuarbeiten sein.

Wie ist die verteidigungspolitische Grundposition der PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ? Als pazifistische Partei lehnen wir Aufrüstung, Waffenexporte in Krisenregionen und Angriffskriege strikt ab. Diplomatie soll stets Vorrang vor Provokation, Eskalation und Waffengewalt haben.

Wir streben jedoch starke Verteidigungsbündnisse an, die das Risiko von Kriegen verringern. Eine europäische Armee statt der NATO wurde diskutiert, als Trump die US-Administration führte, und gilt weiterhin als überlegenswert.

Der Krieg gegen die Ukraine braucht entschlossenes, international abgestimmtes und schnelles Handeln der Weltgemeinschaft und zugleich darf sich der Krieg nicht auf andere Länder ausweiten, muss die globale Wirtschaft am Laufen gehalten und alles getan werden, damit das Sterben schnellstmöglich beendet wird. Die Situation ist also geprägt von Zielkonflikten, die sich einander ausschließen, je konkreter es wird.

Wir versuchen, all diese Ziele vor einer pazifistisch-antimilitaristischen Grundlinie zu vereinen. Unsere programmatische Leitidee ist das Mitgefühl. Dies bedeutet in erster Linie, dass wir uns in die Perspektive der Schwächeren hineindenken. Die Aufnahme aller Flüchtenden ist eine Selbstverständlichkeit. Die Ukraine als Staat und die anderen von imperialistischen Aggressionen bedrohten Länder des ehemaligen Warschauer Pakts brauchen daher unseren Beistand. Die schnellstmögliche Umsetzung kompletter Sanktionen gegen Russland sowie die Lieferung von Defensivwaffen ist ebenfalls ein klarer Konsens.

Die Grenzziehung zu nicht defensiven Waffen ist jedoch teilweise fließend und völkerrechtlich darf die Ukraine auch Angriffswaffen auf ihrem eigenen Territorium anwenden. Insbesondere aufgrund der spezifischen Historie sehen wir aber die Lieferung von deutschen Offensivwaffen, etwa Kampfhubschrauber, kritisch. Und wir dürfen nicht Kriegspartei werden.

Im Blick muss nun behalten werden: 1. Es braucht Verhandlungswillen und Verhandlungsmasse bei Friedensgesprächen. 2. Es darf nicht sein, dass sich ein Überfall auf ein souveränes Land lohnt. Denn nicht nur Russland könnte versucht sein, weitere Länder zu überfallen oder mit Krieg zu drohen, wenn die Ukraine letztlich ihre volle Souveränität verlieren sollte und Russlands Kriegsziel erreicht wurde.

Macht solch ein Beispiel Schule, droht eine weltweite Aufrüstung in nie dagewesenem Ausmaß. Wenn die Lehre aus diesem Krieg sein sollte, dass Regime mit militärischer Aggression erreichen, was sie wollen, würden die kommenden Jahrzehnte von immer neuen Kriegsanfängen erschüttert sein. Das würde dann das Ende jeglichen Pazifismus bedeuten. Pazifismus, der sein eigenes Ende bedeutet, ist aber kein Pazifismus. Es braucht daher beides: eine pazifistische Grundhaltung und eine Strategie, dieser Grundhaltung das Überleben zu ermöglichen.

Dem Militarismus muss also eine Absage erteilt werden. Das wiederum bedeutet, dass die Ukraine den Angriffskrieg gegen sich nicht verlieren darf. Es bedeutet aber auch, dass es eine Friedenslösung geben muss, die Russland annehmen kann. Beides ist gleichermaßen wichtig, denn ein rein militärischer Sieg gegen Russland, eine vernichtende Niederlage also, ist weder realistisch, noch ist auch nur ansatzweise beherrschbar, was die globalen Folgen einer solchen Strategie sein würden.

Was genau annehmbar für Russland sein würde, ist aktuell natürlich unbekannt und hängt sehr von der Kriegssituation zum Zeitpunkt der Verhandlungen ab. Es lässt sich aber leicht vorhersagen, dass auch „der Westen“ einige Zugeständnisse wird machen müssen. Und hier kommt es zum zentralen Problem: wird die Ukraine zum „Westen“ dazugehören können? Was kann langfristig wieder zur Ukraine gehören – neben dem Süden des Landes auch die Krim und der Donbas? Und was ist „der Westen“? Demokratische Verfassung und Freiheit aller Bürger:innen, wirtschaftliche Anbindung an die EU, eine EU-Mitgliedschaft, Partnerschaft mit der NATO, NATO-Mitgliedschaft?

So bitter die Erkenntnis auch sein mag: die Frage nach Stopp oder Fortsetzung der grausamen Gemetzel macht sich auch daran fest, wie lange die Ukrainer:innen sich weiter gegen Russland wehren wollen, wozu sie das volle Recht haben, und wann sie einen Friedenskompromiss eingehen können und wollen.

Dieser Kompromiss – so man einen solchen als realistisch ansieht – wird voraussichtlich jedoch nicht 100 % aller Vorstellungen einer selbstbestimmten und vereinigten Ukraine erfüllen – aber birgt die Chance, dass er Frieden und Leben anstelle von Tod bringt.

Die Alternative zu schnellstmöglichem Friedensschluss oder äußerst riskanter militärischer Großoffensive gegen Russland wäre ein Abnutzungskrieg, der viele Jahre dauert und das Ziel hat, Russland so weit zu schwächen, bis es zermürbt von eigenen Forderungen abrückt oder die russische Führung abgesetzt wird.

Daher setzt sich immer stärker die Einschätzung durch, dass einerseits die Ukraine zwar nicht verlieren darf, um ein weltweites Aufrüsten und das Recht des militärisch Stärkeren langfristig zu unterbinden. Aber dass andererseits das elendige Morden beendet werden muss durch Friedensverhandlungen, bei denen einige russische „Forderungen“ partiell erfüllt werden müssten, um das Sterben und Rüsten auch in kurzer Frist zu beenden.

Die Maßnahmen hin zu einer Wiederherstellung des Friedens sind vielschichtig und mitunter widersprüchlich, selten vereinbar mit subjektiven Idealen und es gilt am Ende, zwischen Optionen zu wählen, die allesamt schmerzlich und risikohaft sind.

Im Krieg ist jede Entscheidung falsch, denn der Krieg ist falsch und die Bedingungen, die er vorgibt, sind falsch. Pazifistische Ideale dürfen aber weder für eine Kriegslogik aufgegeben, noch durch Passivität vom militaristischen Recht des Stärkeren ersetzt werden.

Es muss der Weltgemeinschaft gelingen, der Ukraine beizustehen, Russland durch Sanktionen und Ächtung zum Aufgeben zu zwingen, jedoch Verhandlungsmasse für einen schnellstmöglichen Friedensschluss anzubieten. Die Lehre für alle Militärs und Politiker:innen muss sein: Den Frieden zu brechen lohnt sich nicht.

Im Krieg gibt es nur Verlierer, so heißt es. Gemeint sind damit einfache Zivilist:innen und Soldat:innen. Dieser Krieg aber muss eine echte Zeitenwende nach sich ziehen: Kriegsprofiteure jeglicher Art müssen ihre größte Niederlage erleiden, von der sie sich nie wieder erholen.

Es ist Krieg in Europa. Und das erste, was im Krieg stirbt, sind einfache Lösungen für den Frieden – und jeden Tag gebiert der Krieg seine eigene Fortdauer.

Für uns muss dennoch gelten: Kriegslogik durchbrechen, den Schwächeren beistehen, Kriegsgewinne verunmöglichen, dem Militarismus den Boden entziehen, Friedensordnung schaffen. Wir bleiben Pazifist:innen.