Kapitalistische Verwertungsketten am Abgrund

Gestern gab es zwei Tagesordnungspunkte zum Tierschutz im niedersächsischen Landtag. In die Medien schaffte es nur einer von beiden, denn: Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast (CDU) berichtete unter Tränen, dass sich die Schweinezüchter:innen bei ihre melden und Selbstmord in Erwägung ziehen.

„Ich töte meine Schweine und werde mich umbringen“, so zitiert sie die Landwirte in ihrem Bundesland. Das westliche Niedersachsen hat mit Abstand die höchste Dichte an Schweinen und entsprechend existieren Probleme für Böden, Gewässer, Menschen und Tiere. Es ist eine Region, in der die Massentierhaltung und einige monopolartige Strukturen vorherrschen. Nun brach SARS-Cov-2 unter den Beschäftigten dort ansässiger Betriebe aus, die Afrikanische Schweinepest kommt hinzu – es gibt daher Probleme in der gesamten industriellen Kette und Abnehmer für das Fleisch fehlen.

Auf den Umstand angesprochen, dass Regierung und Landwirte nun schon viele Monate Zeit hatten, um vorsorglich die „Bestallung“ runter zu fahren und Hygienekonzepte umzusetzen, kommt von der Regierungsseite aus nur die Anschuldigung, dass man in solch einer existenziellen Lage der Landwirte nicht „zynisch“ sein dürfe. Die CDU gibt für diesen Konter lang anhaltenden Applaus.

Zum Einen ist es richtig, dass ein Schweineleben (ohne Schlachtung würden sie 20 Jahre alt werden!) in der heutigen Agrarindustrie maximal 6 Monate dauert und die Schweinemutter zuvor rund 4 Monate trächtig war. Somit hätte man auch mit aller Voraussicht, zu was die Coronapandemie in der Tierhaltung führen könnte, aktuell noch nicht entsprechende Ergebnisse, führte die CDU aus. Zum Anderen aber ist es auch unverschämt, notwendige Kritik an der Struktur der Landwirtschaft rhetorisch derartig abzubügeln.

Otte-Kinast rief in ihrer emotionalen Rede die Landwirte gestern auf, alles zu unternehmen, damit die Tierbestände reduziert werden. Aber das reicht doch nun wahrlich nicht aus! Es braucht angesichts der Afrikanischen Schweinepest und den massiven Problemen der Massentierhaltung ein sofort umzusetzendes Ausstiegsprogramm und eine grundlegende Agrarstrukturreform.

Psychologische Hilfe ist allen anzubieten, die derzeit ihre Arbeit verlieren und darunter so stark leiden, dass sie nicht mehr wissen, ob und wie sie weiter leben sollen. Die Landwirt:innen, die Verbraucher:innen, die Natur und die Tiere benötigen keine Sonntagsreden und keine unverbindlichen Aufrufe!

Die Agrarindustrie muss von Grund auf neu ausgerichtet werden. Massentierhaltung, unsoziale Arbeitsbedingungen, tierquälerische Zustände, Breitbandantibiotika und multiresistente Keime, Schäden an Grundwasser und Böden, Feinstaub und Klimagase – und nun auch noch die Gefahren zusammenbrechender Märkte durch Seuchen und Pandemien. Wer hier nur warme Worte für die Landwirte hat und zaghafte Aufrufe verlautbart, hat die massiven Problematiken nicht verstanden und geht in einer tatsächlich zynischen Weise mit unserer Zukunft und unseren sonst hoch gehaltenen und angeblich vorhandenen moralischen Werten um.

Der zweite Tagesordnungspunkt in Sachen Tierschutz war übrigens zu den Tiertransporten, bei denen die Tiere Höllenqualen erleiden und geltendes Recht tagtäglich gebrochen wird – von Behörden und der Politik gedeckt. Interessiert aber schon wenige Wochen nach den letzten Investigativ-Reportagen offensichtlich weder Medien noch Konsument:innen…