Meine Rede in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft zu „Rassismus in Greifswald“

Wenn man mich 2010 gefragt hat, warum man in Greifswald studieren, forschen, leben und arbeiten sollte, sagte ich immer: weil Greifswald in der Mitte Europas liegt, weil Greifswald weltoffen, gastfreundlich, friedlich und bunt ist.

Wenn man mich das heute fragt, sage ich in etwa dasselbe, aber nicht mehr als Feststellung, sondern ein stückweit leider auch als leere Formel, weil ich möchte, dass meine Heimatstadt als gastfreundlich und weltoffen gilt.

Ich bin in Schönwalde aufgewachsen, dort gab es Anfang/Mitte der 90er Jahre in der Makarenkostraße schwere Unruhen zwischen rechten Kräften und den dort lebenden ausländischen Studierenden. Auslöser war ein Mordversuch des späteren NPD-Kreisvorsitzenden an einem palästinensischen Studenten. Die Zivilgesellschaft organisierte daraufhin Menschenketten und Mahnwachen, um die Lage zu beruhigen und ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen.

Seitdem gab es immer wieder beeindruckenden Zusammenhalt gegen Rechts: tausende Menschen stellten sich den Versuchen der NPD, hier Fuß zu fassen, entgegen. Das führte auch dazu, dass rechtsextreme Kräfte in unserer Stadt keinen größeren Zulauf hatten, was man auch daran sieht, dass es hier in der Bürgerschaft keine Rechtsradikalen gab.

Das bedeutet aber nicht, dass in Greifswald keinerlei rechtsradikalen Ansichten existieren würden! Denn 2015 brach auf, was durch den zivilgesellschaftlichen Widerspruch zuvor verdeckt war. In den sozialen Netzwerken wurde plötzlich in einem furchtbaren Ausmaß gehetzt, die Sprache verrohte und Menschen wurden pauschal ausgegrenzt und mit Vorurteilen belegt.

Es gründete sich sogar rassistischer Protest auf den Straßen Greifswalds. Auf den lokalen Pegida-Demonstrationen wurde auf Greifswalder Straßen in einem unvorstellbaren Ausmaße gegen Geflüchtete Stimmung gemacht. Obwohl es Menschen wie du und ich sind, wurden sie systematisch mit Verbrechen und Krankheiten in Verbindung gebracht, um sie auszugrenzen. Und der damalige Pegida-Anführer, der übrigens heute Geld damit verdient, Baugrundstücke in Greifswald zu entwickeln und völlig ungeniert sogar im Bauausschuss als Fachmann auftritt, schreckte damals sogar vor widerlichstem Antisemitismus nicht zurück. Er brachte Jüdinnen und Juden in den Zusammenhang, für Weltkriege und Völkervermischung verantwortlich zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass solch ein unfassbarer Hass auf Menschen heutzutage noch möglich ist.

Der zivilgesellschaftliche Widerspruch brach damals, 2015/2016 zusammen. Im Internet regierte der Hass auf Menschen, die vor Bürgerkriegen flüchteten, auf den Straßen wurden antisemitische Schriften verlesen und alternative Geschichtsschreibung propagiert. Der Nährboden für die Leute, die vorgestern den Reichstag stürmten mit ihren Reichskriegsflaggen, wurde auf diese Weise in ganz Deutschland, und in vielen anderen Ländern auch, gelegt. Der Rassismus, der in der deutschen Geschichte viele Millionen Tote erforderte, ist wieder zurückgekehrt.

Diese aktuelle Stunde zum Thema Rassismus gibt es nicht, weil „mal was vorgefallen ist“. Sondern wir sprechen heute deshalb über Rassismus, weil wir in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft leben und dies nicht nur die globalen Verhältnisse betrachtend – Stichwort fehlendes Lieferkettengesetz – sondern vielmehr weil wir alle tradierte rassistische Denk- und Handlungsmuster in uns tragen und ihnen zumeist unbewusst folgen. Sich darüber bewusst zu werden ist der entscheidende Schritt gegen Rassismus, dass wir uns also nicht mehr fragen „Bin ich etwa rassistisch oder bin ich es nicht“, weil die Antwort fast immer „nein, ich doch nicht“ ausfällt, sondern „Wie tritt der strukturelle Rassismus in meiner Umgebung, in meinem Leben zum Vorschein und was kann ich aktiv dagegen tun“. Den Opfern von Rassismus zuhören, gemeinsam mit ihnen Lösungen finden, so dass es möglichst rassismusfreies Leben gestaltbar wird. „Möglichst“ deshalb, weil der Rassismus viel zu tief im Alltag verwurzelt ist bereits und nur Betroffenen wirklich auffällt.

Das zeigen beispielsweise auch Computerprogrammalgorithmen, die Diskussionen und Gespräche auswerten und daraus lernen sollen, Antworten zu finden, beispielsweise für den Kundensupport. Erschreckend, aber wahr: diese Programme waren politisch zutiefst rassistisch orientiert. Weil sie ein Spiegelbild unserer Gesellschaft waren. Wir düfen den Hetzern und Ausgrenzern keinen Gehör mehr schenken, sondern den Gehassten und Ausgegrenzten zuhören und wir müssen uns aktiv offen solidarisieren mit ihnen. Nur so kann die rassistische Grundroutine der Menschen Stück für Stück hin zu mehr Mitgefühl und Miteinander weiter entwickelt werden. Und das ist dringend nötig, denn Rassismus tötet – aber vorher grenzt er aus, hetzt und verbreitet Vorurteile und Lügen über Minderheiten und alles, was als fremd wahrgenommen werden soll.

Rassismus ist also nicht einfach die Summe von rassistischen Vorfällen oder gar die Summe dessen, was es in die Schlagzeilen schafft. Es ist eine Aufgabe für uns alle: Rassismus im Alltag aufzudecken, zu thematisieren, zu vermeiden, zu stoppen.

Der Angrifffe auf das Islamische Kulturzentrum oder auf den FC Al Karama oder kürzlich auf einen Greifswalder Bürger mit afghanischen Wurzeln waren Angriffe auf uns alle, auf unsere Werte, auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Und genau so müssen wir den strukturellen Rassismus, den Antisemitismus, die Misogynie, die Homophobie, jegliche Form von Diskriminierung als Angriff auf unsere Werte und Ideale sehen und aktiv werden.

Für unsere kommunale Ebene bedeutet das auch, zu überlegen, mit welchen politischen Kräften man offen kooperiert. Ich erinnere daran, dass der AfD-Fraktionsvorsitzende Gastredner bei der rassistischen und antisemitischen Greifswalder Pegida war und die CDU-Fraktionsspitze keinerlei Grund darin sieht, die Zusammenarbeit mit der AfD infrage zu stellen.

Aber auch ganz praktische Dinge können wir anpacken: in anderen Ländern gibt es zur Verhinderung von rassistischer Diskriminierung bereits anonymisierte Bewerbungsverfahren. Vielleicht ja auch eine gute Idee für die Stadt als Arbeitgeber, um aktiv gegen Rassismus vorzugehen. Vielleicht effektiver als jede Sonntagsrede, die wir hier gegen Rasssismus halten.

Und nachher haben wir noch den wichtigen von mir eingebrachten Antrag auf der Tagesordnung, der Rassismus, Neonazismus und Antisemitismus in unserer Stadt zurückdrängen kann. Bitte stimmen Sie nachher dem Teil B der „Greifswalder Erklärung“ zu, der Verträge der Stadt mit Feinden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie der Identitären Bewegung, Reichsbürgern oder der antisemitischen BDS, untersagt.

Und vielleicht fällt uns in den kommenden Wochen noch mehr ein, was für in unserer Stadt tun können. Unsere Fraktion begibt sich gern in diese lösungsorientierte Debatte und ich würde mich freuen, wenn das breite zivilgesellschaftliche Miteinander wieder gestärkt wird. So dasss man von einem gerechten, weltoffenen und gastfreundlichen Greifswald bald wieder sprechen kann und es auch wirklich so meint. Vielen Dank.